Cover
Titel
Seeking Love in Modern Britain. Gender, Dating and the Rise of ‘the Single’


Autor(en)
Strimpel, Zoe
Erschienen
London 2020: Bloomsbury
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
£ 17.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Homberg, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Lange vor der Ära der Online-Dating-Apps war – auch im Vereinigten Königreich – aus der „Suche nach Liebe“ ein boomendes Business geworden. Zoe Strimpel hat die lange, wechselvolle Geschichte dieser Suche „einsamer Herzen“ zum Anlass genommen, um mit „Seeking Love in Modern Britain“ ein anregendes, pointiertes Buch über die Welt der Singles, die Märkte der Partnervermittlung und die Praxis des Datings in Großbritannien zwischen 1970 und 2000 vorzulegen. Dabei handelt es sich um die überarbeitete Version ihrer 2017 an der University of Sussex eingereichten Dissertationsschrift. Mit ihrer Studie folgt die Autorin einerseits dem wachsenden Interesse der sozial- und kulturhistorischen Forschung für die Geschichte von Familien, Ehen und Paarbeziehungen im Europa des 20. Jahrhunderts, geht andererseits mit der Untersuchung der Praxis der Partnervermittlung aber thematisch neue Wege. Überdies stößt sie in eine Zeit vor, die von der einschlägigen Forschung zur britischen Geschichte bislang noch vergleichsweise wenig beachtet wurde.1

In vier thematische Kapitel gegliedert, verfolgt das Buch ein ambitioniertes Programm. Das erste Kapitel schildert die sozialen, ökonomischen, rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen der Partnersuche und die Kontexte des „Single-Booms“ ab den 1970er-Jahren, die Selbst- und Fremdbilder der Alleinlebenden wie auch – in knappen Skizzen – deren Wünsche und Ziele, zugleich aber ebenso die Rolle der Expertinnen und Experten, die in diesen Jahren begannen, das Dasein der Singles zum Forschungsgegenstand zu erheben. Das zweite Kapitel widmet sich der Geschichte der neuen britischen „Matchmaking“-Industrie. Dabei beschreibt Strimpel die verschiedenen Wege der Partnersuche und -vermittlung – von Zeitungsinseraten über Heirats- und Partneragenturen („Introduction Services“) bis hin zu den seit den 1970er-Jahren boomenden Computer-Dating-Instituten. Das dritte Kapitel rekonstruiert die (medialen) Debatten um die neue (elektronische) Partnervermittlung, die von einem Wechselspiel aus Euphorie und Ängsten gekennzeichnet waren. Schließlich thematisiert das vierte Kapitel anhand exemplarischer, ethnographisch angelegter Beobachtungen das individuelle Erleben der Dating-Praxis durch die Kundinnen und Kunden der Agenturen.

Im Fokus der Analyse steht der vielstimmige Diskurs über Partnerwahl und Paarbeziehungen. Nach einer sozialhistorischen Grundierung ihrer Aussagen geht es Strimpel über weite Strecken des Buches erkennbar um eine Geschichte der Wahrnehmung des Phänomens. Konsequenterweise stützt sie sich dazu vor allem auf eine systematische Auswertung serieller Zeitungsquellen, wobei sowohl Blätter der überregionalen „Qualitätspresse“ (wie „The Times“) als auch Boulevardblätter (wie „The Daily Mail“ oder „The Express“) einbezogen werden. Hinzu kommen Journale und Magazine wie „Time Out“, „Singles“ oder auch der „London Weekly Advertiser“, die sich in einzelnen Rubriken oder ganzen Ausgaben vorrangig an die wachsende Gruppe der Singles richteten. Neben gedruckten Quellen aus dem Bereich der Ratgeberliteratur und Ego-Dokumenten wie Memoiren einzelner Agentur-Gründer stützt sich die Autorin sodann auf eigene Oral-History-Interviews mit ehemaligen Kundinnen und Kunden von Dating-Agenturen wie auch mit Unternehmern und Angestellten der Branche. Ausgewählte Daten der britischen Meinungs- und Massenforschung – allen voran des zu Beginn der 1980er-Jahre an der University of Sussex wiederbelebten „Mass Observation Project“2 – runden das Quellenkorpus ab.

Die Studie geht von der leitenden Annahme aus, dass es ab den 1970er-Jahren mit der Entstehung eines modernen Partnermarkts zu einer „Kommodifizierung“ sozialer Beziehungen und zu einem „emotionalen Pragmatismus“ kam (S. 10). So wuchs der Wunsch nach einer „Rationalisierung“ der Liebe – wie sie gerade die kommerzielle Partnervermittlung versprach: „partner specifications were concrete and realistic, with little mention, as alluded to earlier, of ‚falling in love‘“ (S. 12). Am Beispiel von Leserkorrespondenzen und ausgewählten autobiographischen Zeugnissen zeigt Strimpel, wie ab den 1970er-Jahren Gefühle und Beziehungen zusehends zu „Projekten“ des Managements von Charakter und Körper auf dem „Markt“ der Partnerwahl avancierten – unter dem Druck der Konkurrenz. Damit wurden, so die Autorin, Emotionen zur „flexiblen Ressource“ einer „Arbeit am Selbst“ (S. 103f.).

Es ist ein nicht geringes Verdienst der Studie, in diesem Zusammenhang erste Schneisen in die Forschung zur Geschichte der „Singles“ zu schlagen, die bislang kaum im Fokus historischer Arbeiten stand. Wie Strimpel ausführt, war die Perspektive, womöglich allein zu bleiben, in den Augen vieler Zeitgenossen lange stigmatisiert: „the only thing potentially worse than dysfunctional sex and relationships was having neither“ (S. 11). Ab den 1970er-Jahren entbrannte vor diesem Hintergrund in Europa wie auch in den USA eine breite Debatte über die Rolle der Alleinlebenden, während sich gleichzeitig neue, zusehends attraktive „Single-Märkte“ entwickelten: So adressierte eine wachsende Zahl von Zeitungen und Magazinen die „neuen“ Singles, Reiseanbieter offerierten spezielle Single-Reisen, und auch die Ehe- und Partnervermittlungen buhlten um die Gunst (und das Geld) der Singles.

Mit den sich wandelnden sozialen, ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Partnerwahl veränderten sich auch die Märkte der Vermittlung und die Praxis des Datings. Zugleich verloren überkommene Vorstellungen eines Antagonismus der Geschlechter sowie von race, class und gender als Kategorien der Partnerwahl im Diskurs an Relevanz (S. 89–105). Allerdings zeigte die Auswertung der Annoncen in Tageszeitungen und Magazinen, dass traditionelle Werte und Muster der Partnerwahl vielerorts noch lange erhalten blieben. So galten „leichte Mädchen“ und „unmaskuline“ Männer auch weiter als Tabu. Speziell Frauen gerieten durch ihre Teilnahme in den Verdacht, entweder schwer vermittelbar oder allzu promiskuitiv zu sein.

Zwar bleiben die Erläuterungen zum methodischen Ansatz der Studie relativ blass, und auch der interdisziplinäre Mix aus philosophisch-theoretischen Überlegungen wirkt eher eklektizistisch, doch hebt sich Strimpels Darstellung im Versuch, die Ungleichzeitigkeiten und Ambivalenzen der Veränderungsprozesse sorgsam herauszuarbeiten und abzuwägen, gelungen von den linearen Meistererzählungen anderer Forschungen ab. Im Kern votiert die Autorin – im Anschluss an die Thesen Michel Foucaults und die Überlegungen Dagmar Herzogs – überzeugend gegen die vorschnelle Rede von Brüchen und Umwälzungen wie auch gegen deren strukturelles Analogon, die Rede vom konservativen Beharren. Dazu entlehnt sie der Musiktheorie den Begriff der Synkope („syncopation“, S. 8–10). Eine weitere Stärke der Studie liegt im Wechsel zwischen diskursanalytischen sowie alltags- und mikrogeschichtlichen Perspektiven: „with its reliance on first-person testimony and its close interest in the working of a relatively small, cottage-style industry, it [the book] tries to place the micro-interactions of individuals within the context of their ‚everyday emotional lives‘“ (S. 7).

Allerdings zeigen sich gerade in diesem Versuch, die unterschiedlichen empirischen Beobachtungen (und hier insbesondere die Ego-Dokumente) in systematische Deutungen makrohistorischer Prozesse zu übersetzen, auch die Grenzen der Studie. Die Heterogenität der Gruppe der Singles legte nahe, wie Strimpel selbst anmerkt, in der Analyse der Dating-Praxis genauer hinzusehen (vgl. S. 27–33). In vielen Sozialstatistiken zählen zu dieser Gruppe bis heute neben den klassischen Junggesell/innen alleinlebende, unverheiratete, geschiedene oder verwitwete Menschen. Auch das erklärte Ziel der Studie, am Beispiel der überregionalen Presse die Haltung britischer Singles und deren Dating-Praxis zu erörtern, wirkt ehrgeizig, erlaubt die Auswahl der Quellen letztlich doch vor allem Aussagen über England und gibt auch hier einmal mehr der Metropolregion London besonderen Raum. Vor allem aber wäre in den Augen des Rezensenten eine viel stärker vergleichende und transfergeschichtliche Anlage der Studie sinnvoll gewesen, da sowohl Diskurs als auch Praxis des Datings und der (kommerziellen) Ehe- und Partnervermittlung, wie schon die Geschichte des Computer-Datings dieser Jahre zeigt, über die nationalen Bezugsrahmen hinauswiesen.3 Aus einer vergleichenden Perspektive ergäben sich zudem Ansätze für weitere Forschungen. Denn in der neuen Ökonomie des Datings4 zeigte sich keineswegs nur im Großbritannien der Thatcher-Ära ab den ausgehenden 1970er-Jahren eine doppelte Semantik der Liberalisierung: Mit der „Befreiung“ der Liebe brach sich ein – von kommerziellen Regeln durchdrungener – „freier Markt“ der Liebe Bahn. Letztlich wäre daher auch der Untersuchungszeitraum zu problematisieren. Die Zäsur um 1970 erscheint relativ willkürlich gesetzt; schon in den Geburtsstunden des Zeitungswesens des 17. Jahrhunderts hatte es im britischen Raum Heiratsanzeigen gegeben, und im viktorianischen Zeitalter waren solche gedruckten Annoncen, ob handgeschrieben oder per Telegraph gemorst, bereits ein Synonym moderner Partnerwahl geworden.5 Dass Ehe- und Partnervermittlungen bis in die 1970er-Jahre hinein, so die apodiktische Annahme, ein randständiges Phänomen geblieben seien, wäre daher zu diskutieren. Sinnvoll erschiene zugleich eine Ausweitung des Zeitraums auf das „golden age of marriage“ und die viel diskutierten „globalen 1960er-Jahre“, um den postulierten Wandel in der Vermittlungspraxis – von der Eheanbahnung zum Single-Dating – abzubilden.

Ungeachtet dieser Einwände ist festzuhalten, dass Zoe Strimpel ein ausgezeichnet lesbares, anregendes und instruktives Buch zur Geschichte des Datings und der „Single-Kultur“ in Großbritannien gelungen ist, das einen wertvollen Beitrag zur Kulturgeschichte des Kennenlernens leistet und hoffentlich weitere Forschungen inspirieren wird.

Anmerkungen:
1 Virginia Nicholson, Singled Out. How Two Million Women Survived Without Men After the First World War, London 2007; Marcus Collins (Hrsg.), The Permissive Society and its Enemies. Sixties British Culture, London 2007; Katherine Holden, The Shadow of Marriage. Singleness in England, 1914–60, Manchester 2007; Hera Cook, The Long Sexual Revolution. English Women, Sex, and Contraception, 1800–1975, Oxford 2005. Eine Ausnahme bildet die Studie von Moira Weigel, Dating. Eine Kulturgeschichte, München 2018.
2 The Mass Observation Archive, University of Sussex, Special Collections, Adam Matthew Digital Collections: https://www.amdigital.co.uk/primary-sources/mass-observation-project (10.10.2020).
3 Vgl. Michael Homberg, Computerliebe. Die Anfänge der elektronischen Partnervermittlung in den USA und in Westeuropa, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 17 (2020), S. 36–62, https://zeithistorische-forschungen.de/1-2020/5811 (10.10.2020).
4 Eva Illouz, Consuming the Romantic Utopia. Love and the Cultural Contradictions of Capitalism, Berkeley 1997; dt.: Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Andreas Wirthensohn, Frankfurt a.M. 2003.
5 Jennifer Phegley, Courtship and Marriage in Victorian England, Santa Barbara 2012, S. 99–105; Marcia A. Zug, Buying a Bride. An Engaging History of Mail-Order Matches, New York 2016, S. 107–132.

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